Yasmina Haddad – wer verlässt schon gerne das love boat (curated by Melanie Ohnemus)

23-10-2014 – 30-10-2014

 

26. September 2014: 345 Gerettete syrische Flüchtlinge weigern sich in Zypern an Land zu gehen. Unbehagen wächst.
Die Idee zur Arbeit wurde ausgelöst durch Postings österreichischer Bürger/innen anlässlich der jüngst massiver auftretenden Flüchtlingswellen. Analogien der helfenden Hand die in unterschiedlichsten Formen ausgenutzt, abgerissen oder verdreht wird, werden dort gehäuft bemüht – im Parallelgang dazu schwingt sich eine subtile Stimmung moralisch verstaubt-verdrehter Auffassungen der Tugend der Dankbarkeit ein. Der Fremde dreht die Hand nach oben und so bleibt sie für lange Zeit, oder für immer. Dankbarkeit wird hier mit Dankesschuld gleichgesetzt, die Genügsamkeit voraussetzt.* Ein tief sitzendes Muster offenbart sich, aber erst, wenn es „ernst“ wird, denn zuvor ist man mit seiner eigenen kleinen Welt beschäftigt. Es kommt nicht von ungefähr, dass in der Zeit des Biedermeiers die Kakteenjagd einen Hype erfahren hat, der bis hin zur Plünderung und Ausrottung mancher Kakteenarten führte. Das Sammeln und Systematisieren an sich birgt schon einiges an Enge, Kontrolle und Ordnung, die tiefer liegende Stimmung der Kakteen veräußert zudem eine emotional schwer einzuordnende Fremdheit. Zuweilen wirken sie eher wie ein Stein als eine Pflanze. Ihre Genügsamkeit, mit gleichzeitig unerwartet auftretenden Ausformungen und Anomalien, die sie erzeugen können (manchmal als Virus, manchmal als Laune), macht sie zu geheimnisvollen Stimmungsträgern.
Die Stimmung der Kakteen – zum einen hier symbolischer Träger einer Jetzt-Zeit, in der ökonomische Vernetzung mit gleichzeitiger inwärts gerichteter Orientierung einhergeht. Zum anderen symbolischer Träger für eine Analogie mit der derzeitigen politischen Lage.
Man sieht ein Bild und empfindet eine Stimmung dazu. Jedoch ist es auch was es ist. Freigestellt nach Manier von Werbeästhetiken, auf einen Träger geprintet, von künstlicher Schönheit. Arbeiten über Oberflächen um Situationen zu verstehen. Hier findet das Widersprüchliche am Informationsgehalt der Bildwelten in die Überlegung und Ausführung ebenso Einzug, wie deren tiefer liegende Schichten des Erfassen Wollens eines größeren Zusammenhanges postmoderner Befindlichkeiten.
Melanie Ohnemus

 

*Das systematische Studium der Dankbarkeit beginnt innerhalb der Psychologie erst um das Jahr 2000, vielleicht weil sich die Psychologie traditionell eher mit dem Verständnis negativer als mit dem positiver Emotionen befasst.
Dankbarkeit ist nicht dasselbe wie das Gefühl der Dankesschuld. Beide Gefühle stellen sich zwar nach empfangener Hilfe ein, aber das Gefühl der Dankesschuld tritt auf, wenn die Person erkennt, dass sie verpflichtet ist, die Hilfe in irgendeiner Weise zu vergüten. Die beiden Gefühle führen zu verschiedenen Resultaten: Dankesschuld (ein negatives Gefühl) kann dazu führen, dass der Empfänger der Hilfe den Helfer in Hinkunft meidet, während Dankbarkeit (ein positives Gefühl) den Empfänger dazu motivieren kann, seinen Wohltäter aufzusuchen, wodurch sich die Beziehung zwischen den beiden verbessert.
(Greenberg, M. S., 1980. A theory of indebtedness. In: K. J. Gergen, M. S. Greenberg & R. H. Wills, Social exchange: Advances in theory and research: New York: Plenum.)

Fotos: Yasmina Haddad